Es war ein Abend, auf den viele Fans lange gewartet haben. Also - nicht nur metaphorisch. Für die Show am 05.06.2023 in der Wiener Stadthalle standen bereits am vergangenen Samstagmorgen die ersten Fans Schlange. War es das denn am Ende auch wert, für die knappen zwei Stunden, die The 1975 die Bühne füllten?
Meine persönliche Meinung: Ein ganz klares „Ja“. Ich muss bereits im Voraus klarstellen, dass ich auf diesen Abend nur sehr schwer eine subjektiven Blick gewähren kann. Ich bin seit meiner frühen Jugend unglaublich begeistert von der Band und ihrer Arbeit. Und obwohl Matty Healy meiner Meinung nach den Preis für „Scumbag des Jahres“ gewinnen sollte, hat er gestern wieder bewiesen, warum ich dann doch immer wieder zu ihren Konzerten gehe und sie am Ende des Jahres wieder in meinem Spotify-Wrapped Platz 1 bekommen.
Wallice
Aber erstmal von Vorne:
Der Abend begann mit einem Auftritt der überaus talentierten Wallice, deren Rolle als Opener vor der Show ziemlich versteckt gehalten wurde. Ich musste ziemlich tief graben, um herauszufinden, wer hier den Support spielt. Lediglich ein Post in der Instagram Story der Künstlerin verriet ihren 30-minütigen Slot, in dem sie für die Headliner des Abends eröffnete. Diesen bespielte sie mit einer bezaubernden Leichtigkeit, die von ihrer eindrucksvollen Stimme, der strahlend roten Gitarre und den übrigen drei Bandmitgliedern, die mit ihr auf der Bühne standen, getragen wurde. Mit jeder gesungenen Zeile und jeder gespielten Note wurde ich ein größerer Fan der mir bis dato unbekannten Wallice. Mit dem Song „Funeral“ schloss sie den Auftritt ab und machte Platz auf der Bühne für die Headliner.
The 1975
Seit The 1975 vor vier Jahren das letzte Mal in Wien zu Besuch waren, hat sich viel verändert. Covid-19, abgesagte Touren, zwei Alben, von denen eines an seiner Überlänge litt, und die verschiedensten Character-Facetten, die Sänger Matty Healy scheinbar durchlebte. In dieser Zeit sank auch leider meine Sympathie für besagten Sänger linear mit den verstrichenen Kalenderblättern. Immer wieder tauchten negative Schlagzeilen über ihn auf, sein Fehlverhalten wurde auf Video oder Audio-Formaten festgehalten und ich stellte mir oft die Frage: „Ist das denn noch die Band, die ich einmal so sehr liebte?“ Als dann vergangenen Herbst das aktuelle Album der Band erschien, war ich zwar wieder zurück in meinem The 1975-Fieber, trotzdem mit einem gemischten Gefühl. Dieses Gefühl, das mir ein bisschen den Magen umdrehte, hielt auch bis vor der Show am Montag an.
Es nage an mir ständig der Hintergedanke: „Was, wenn er heute wieder etwas tut, das mit meinen eigenen moralischen Vorstellungen und Werten nicht übereinstimmt? Ist das noch eine Person, die ich unterstützen will?“
Dann war es so weit: Mit der ersten Szene hatte ich die Befürchtung, ich müsste mir die vorher gestellte Frage mit „Nein“ beantworten. Die Band kam auf die Bühne, Matty mit Flachmann in der Hand, geziert mit einer Augenklappe (Pirat ahoi) und einem angewiderten Blick im Gesicht. Ob diese Stimmung zurückzuführen war auf die kurz vor der Show bekannt gegebene Trennung von ihm und Taylor Swift?
Mit den verstrichenen Minuten verzog sich die grimmige Mimik des Sängers. The 1975 taten, was sie am besten können. Guten Indie-Pop spielen und dabei eine grandiose Show abliefern. Es folgte ein Mix aus Gute-Laune-Songs, ruhigen Nummern, neuen Tracks und den alten, ganz ganz alten Songs wie zum Beispiel „Me“ oder „Fallingforyou“, die noch vor dem ersten Album veröffentlicht wurden. Auch mit einem kurzen Cover-Moment von „I want it that way“ der Backstreet Boys überraschte die Band und sorge für den ein oder anderen Lacher.
Meine Versöhnung mit Matty (kind of)
Währenddessen offenbarte sich mir ein Matty, wie ich ihn mir in den vergangenen Jahren anstatt der gehäuften Kontroversen gewünscht hatte. Einer, der Andrew Tate zurecht als „a fucking moron“ bezeichnet, auf die Crowd und die Band eingeht, seinen politischen Standpunkt klar als „liberal“ und „left wing“ deklariert und trotz des Konsums einer halben Flasche Wein (und dem, was auch immer da in dem Flachmann war) bei Sinnen bleibt. Einer, der einem treuen Fan, die er durch ihre Konzertbesuche in verschiedenen Städten wiedererkannte, random Zeug von der Bühne schenkt und sie umarmt, weil er weiß, dass es ihr unglaublich viel bedeutet. Matty Healy, warum sprichst du nicht über solche Dinge in einem Podcast?
Inmitten der Crowd waren dann noch ganz viele Menschen, die anscheinend auf ihren ganz persönlichen Harry-Styles-Moment warteten. Sie hatten Schilder in den Händen, die mit großen schwarzen Buchstaben bemalt waren: „Matty kiss me“ oder „Can I play the guitar during Robbers?“ waren nur zwei der Aufschriften, die mir im Kopf geblieben sind. An was ich mich jedoch am meisten erinnere, waren zwei Schilder aus der ersten Reihe: „Matty, you are loved!“ stand darauf. Tröstende Worte, die die beiden Fans wohl als Antwort auf den gewaltigen Backlash der letzten Wochen ausdrücken wollten. Es waren die einzigen der zahlreichen Schriften, die von ihm kommentiert wurden. Matty erklärte „I really appreciate it, thank you so much. But I don’t need it. I’ve got them", sagte er darauf und deutete zu seinen Bandkollegen.
Es war ein so wholesome Abend, dass man sich den Scumbag, der sich oft irgendwo in diesem Menschen verbirgt, gar nicht mehr vorstellen konnte. Irgendwie war es sehr versöhnlich für mich. Es fühlt sich an wie die Entschuldigung, auf die ich die ganze Zeit schon gewartet hatte.
Kleine Enttäuschung für das treue Fan-Herz
Doch eine Enttäuschung blieb dann doch vom Abend. Als sich Matty zum letzten Song mit seiner Gitarre alleine auf die Bühne setzte und „102“ anstimmte, stockte mir erstmal der Atem. Also, im positiven Sinne. Der Song, den ich wahrscheinlich am häufigsten von allen auf meiner Gitarre gespielt habe. Und einer, der mir samt Text und Melodie besonders am Herzen liegt. The 1975 beendeten die Setlist mit einem vertrauten Song - vertraut für die Band und die Fans, die sie schon lange mit auf dem Weg begleiteten. Ein überraschendes Ende einer genauso überraschenden Setlist.
Denn EIGENTLICH ist der letzte Song bei einem The 1975 Konzert IMMER „The Sound“. Wenn vor dem letzten Drop Matty dann „1,2, fucking jump“ schreit und man mit tausenden anderen Personen in der Crowd zum Refrain im Takt gesprungen ist, dann kann man beruhigt nach Hause gehen. Doch dieser Moment trat nicht ein. Der Sänger verließ die Bühne, von der die restliche Band bereits abgegangen war. Ohne ein richtiges „goodbye“ war es ein wenig hart zu akzeptieren, dass die Show vorbei war. Eine dennoch grandiose Show mit einem Sänger, der so gerne öfter an die Öffentlichkeit treten kann.
Und: Es wurde während der Show auch angekündigt, dass Anfang des kommenden Jahres eine ganze Europa Tour der Band folgen soll, dann auch im kompletten Ausmaß. Also für alle, die diesmal nicht dabei waren, können sich spätestens dann auf eine Show mit allem Drum und Dran freuen, die auch dem neuen Album gewidmet sein wird. Ich werde auf jeden Fall wieder da sein!
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